3.5 Spondylitis ankylosans
Synonym
Morbus Bechterew
Definition
Die Spondylitis ankylosans (Sp. a.) ist eine chronische entzündlich-rheumatische
Systemerkrankung, die sich vorzugsweise mit ankylosierenden und destruierenden
Veränderungen am Achsenskelett, aber auch häufig mit peripheren
Arthritiden, Enthesopathien und seltener viszeralen Organbeteiligungen
manifestiert.
Kriterien
Weltweit anerkannt als Klassifikationskriterien der Sp. a. sind die New
York-Kriterien, die für epidemiologische Studien entwickelt wurden.
New York-Kriterien der Spondylitis ankylosans
-
Deutlich eingeschränkte Beweglichkeit der Lendenwirbelsäule (LWS)
in allen Ebenen.
-
Frühere oder aktuelle Schmerzen im Bereich des dorso-lumbalen Übergangs
oder der LWS.
-
Eingeschränkte Atembreite (- 2,5 cm) in Höhe des 4. Interkostalraumes.
Sichere Sp. a., wenn
-
eine beidseitige Sakroiliitis Grad 3 oder 4 und ein klinisches Kriterium
oder
-
eine beidseitige Sakroiliitis Grad 2 oder eine einseitige Sakroiliitis
Grad 3 oder 4 und
-
Kriterium 1 oder
-
beide Kriterien 2 und 3 vorliegen.
Wahrscheinliche Sp. a. bei beidseitiger Sakroiliitis Grad 3 oder 4. |
Voraussetzung für die Diagnose einer sicheren Sp. a. ist eine Sakroiliitis
mindestens Grad 2 entsprechend der Graduierung röntgenologischer Veränderungen
der Sakroiliakalgelenke (Tabelle 1).
Tabelle 1. Gradeinteilung der Sakroiliitis
Grad
|
Befund |
0
1
2
3
4
|
Normal
Verwaschener Gelenkspalt, Pseudoerweiterung, mäßige Sklerosierung
Unregelmäßige Gelenkspalterweiterung, ausgeprägte Sklerosierung,
Erosionen, "Perlschnurbild"
Gelenkspaltverschmälerung oder -verengung, Erosionen, Sklerosierung,
partielle Ankylosierung
Totale Ankylose |
Da bis zum röntgenologischen Nachweis einer Sakroiliitis durchschnittlich
2,5 bis 11 Jahre vergehen, sind die New York-Kriterien nicht für die
Frühdiagnose der Sp. a. geeignet. Bei Frühformen der Sp. a. noch
ohne röntgenologisch nachweisbare Sakroiliitis können die Kriterien
des Kreuzschmerzes vom entzündlichen Typ (Tabelle 2) und die Frühdiagnosekriterien
der Sp. a. (Tabelle 3) hilfreich sein für die Formulierung einer Verdachts-
bzw. Arbeitsdiagnose.
Tabelle 2. Kriterien des Kreuzschmerzes
vom entzündlichen Typ (1)
|
1. Krankheitsbeginn vor dem 40. Lebensjahr
2. Schleichender Beginn der Beschwerden
3. Dauer seit mindestens 3 Monaten
4. Morgensteifigkeit
5. Besserung der Beschwerden
Mindestens 4 Kriterien müssen erfüllt sein |
Ein positiver HLA-B27-Test für sich allein ohne entsprechende klinische
Zeichen erlaubt nicht die Diagnose einer Sp. a., da er auch in etwa 7 %
der Normalbevölkerung positiv ausfällt. Bei fehlendem Nachweis
der Sakroiliitis in der anterioposterioren Röntgenaufnahme ist die
konventionelle Tomografie (siehe Kapitel 1.3) und/oder
die Szintigrafie angezeigt.
Zusätzliche diagnostisch wichtige Krankheitssymptome
-
Schmerzsymptomatik. Neben den in Tabelle 2 und 3 aufgeführten Kriterien
des entzündlichen Kreuzschmerzes ist für die Diagnose der Sakroiliitis
der nächtliche Lumbal-Schmerz mit Erwachen in der 2. Nachthälfte
(1 bis 6 Uhr), Nachlassen beim Aufstehen und Herumgehen sowie mit Ausstrahlung
in das Gesäß und die Rückseite der Oberschenkel höchstens
bis zum Knie typisch. Auch im Rahmen der Spondylitis sämtlicher Wirbelsäulenabschnitte
(LWS, BWS, HWS) kommt es zu nächtlichen Schmerzen, die bei Beteiligung
der Costotransversalgelenke zu gürtelförmigen Thoraxschmerzen
führen können.
-
Arthritis: Eine periphere Mon- oder Oligoarthritis vorzugsweise der großen
Gelenke an der unteren Extremität wird bei 20 bis 75 % der Patienten
mit Sp. a. im Krankheitsverlauf beobachtet. In 30 % tritt sie a s Erstsymptom
vor den Rückenschmerzen auf.
-
Enthesopathien: Hyperostotische und resorptive Veränderungen an den
Sehnenansätzen im Sinne einer Enthesopathie manifestieren sich vor
allem im Bereich des Fersenbeines plantar und am Achillessehnenansatz,
aber auch im Bereich der Sitzbeinhöcker, der Beckenkämme, der
Trochanteren sowie im Bereich der Übergänge von Rippen, Rippenknorpel
und Sternum.
Tabelle 3. Frühdiagnosekriterien für die Spondylitis ankylosans
(2)
Kriterien |
Punkte |
Genetisch:
- HLA-B27 positiv |
1,5
|
Klinisch:
-
Wirbelsäulenschmerz (Entzündungstyp, siehe Tabelle
2)
-
Ischialgiformer Spontanschmerz und/oder positives Mennellsches Zeichen
-
Spontan- oder Kompressionsschmerz im knöchernen Thorax und/oder eingeschränkte
Atembreite (<2,5 cm)
-
Periphere Arthritis und/oder Fersenschmerz
-
Iritis / Iridozyklitis
-
Eingeschränkte Beweglichkeit der HWS und/oder LWS in allen Ebenen
|
1
1
1
1
1
1
|
Laborchemisch:
-
erhöhte BSG
Alter unter 50J.: M = 15 mm/h, F = 20 mm/h
Alter über 50J. :M = 20 mm/h, F = 30 mm/h
|
1
|
Röntgenologisch:
-
Wirbelsäulenzeichen: Syndesmophyten, Kasten-, Tonnenwirbel, Romanus-,
Andersson-Läsion, Arthritis der Costovertebral- und/oder der Intervertebralgelnke
|
1
|
Ab mindestens 3,5 Punkte ist die Frühdiagnose der
Sp. a. zu erstellen
Ausschlußkriterien: Traumatische, degenerative oder andere
nichtentzündliche Wirbelsäulenerkrankungen, Arthritis psoriatica
oder reaktive Arthritis, maligne, infektiöse, metabolische oder endokrinologische
Erkrankung, andere Gründe für eine erhöhte BSG oder ein
positiver Rheumafaktor. |
Organmanifestationen
Nachfolgend sind die wichtigsten viszeralen Beteiligungen aufgeführt.
-
Eine einseitige, im Verlauf oft wechselseitige Iritis / Iridozyklitis in
4 bis 40%.
-
Kardiovaskuläre Manifestationen finden sich in 2 bis 10 % als Aorteninsuffizienz
in Folge einer Aortitis, als echokardiografisch nachweisbare Kardiomyopathie
sowie als Reizleitungsstörung mit AV-Blockierung unterschiedlichen
Schweregrades bis hin zum totalen AV-Block mit Adams-Stokes-Anfällen.
Peri- und Myokarditiden sind ausgesprochen selten.
-
Eine verminderte Vitalkapazität ist in fortgeschrittenen Fällen
wegen der ausgeprägten Thoraxstarre und Wirbelsäulenkyphosierung
nachweisbar. Extrem selten findet sich eine zystische Oberlappenfibrose,
die sich klinisch nach langer Krankheitsdauer mit Dyspnoe und Hämoptoe
äußert und radiologisch dem Bild einer Tuberkulose ähneln
kann.
-
Eine Nierenbeteiligung findet sich in Form einer sekundären Amyloidose
in bis zu 8 %, andere renale Veränderungen wie interstitielle Nephritis
und IgA-Nephropathie in bis zu 10 %.
-
Als neurologische Komplikationen von Spätstadien der Sp. a. sind ein
Cauda equina-Syndrom sowie Rückenmarkskompressionen durch atlantodentale
Dislokationen zu nennen.
Wichtige Laborbefunde sind positive Entzündungsparameter (BKS, C-reaktives
Protein; bei ca. 25 % jedoch normal), negative Rheumafaktoren und ein positives
HLA-B27 (in 88 bis 96 %). Zur Bewertung des HLA-B27 siehe oben.
Differentialdiagnose
Die Sp. a. ist vor allem gegen andere entzündliche und degenerative
Wirbel- und Iliosakralgelenkserkrankungen abzugrenzen, darüber hinaus
aber auch gegenüber internistischen, neurologischen und gynäkologischen
Ursachen für Wirbelsäulenschmerzen. Bei Beginn der Erkrankung
im Bereich der peripheren Gelenke kommt das breite Spektrum der Differentialdiagnose
der Mon- und Oligoarthritis hinzu.
Bei Vorliegen einer entzündlichen Symptomatik des Achsenbefalls
ist in erster Linie an eine der übrigen Erkrankungen aus der Gruppe
der Spondarthritiden zu denken. Für die Differentialdiagnose maßgebend
sind die Krankheitsmanifestationen außerhalb des Achsenskelettes,
durch die Spondarthritiden von einander abgegrenzt werden können (siehe
Kapitel
3.4).
Geht die Sp. a. mit einer Diszitis oder Spondylodiszitis einher, stellt
sich die Differentialdiagnose gegenüber bakteriellen, mykotischen
und parasitären Spondylitiden. Für die Sp. a. typisch ist das
Auftreten der Spondylodiszitis in späteren Krankheitsstadien, das
Fehlen stärkerer Allgemeinsymptome (Leukozytose, Fieber) und der Nachweis
einer Sakroiliitis. Für die seltene Differentialdiagnose gegenüber
einer Wirbelsäulenbeteiligung bei Chondrokalzinose und Hydroxylapatiterkrankung,
deren Verkalkungen zu Verwechslungen mit Syndesmophyten führen können,
hilft vor allem der röntgenologische Nachweis der typischen Verkalkung
im Bereich der Hände, Knie und Hüften.
Speziell für die Iliosakralgelenke kommt neben den bereits genannten
entzündlichen Wirbelsäulenaffektionen noch die Differentialdiagnostik
der Osteosis triangularis condensans (meist klinisch stumme, röntgenologisch
nachweisbare dreieckige, paraartikuläre Sklerosezone im distalen Iliumabschnitt,
bevorzugt Frauen) und der Morbus Paget (röntgenologisch Knochenumbau,
erhöhte alkalische Phosphatase) hinzu.
Bei der Abgrenzung gegenüber degenerativen Wirbelsäulenveränderungen
ist die Spondylitis hyperostotica besonders wichtig, da mitunter die brückenbildende
Hyperostose an den Wirbelkörpern röntgenologisch mit der Syndesmophytenbildung
und Ankylosierung der Sp. a. verwechselt werden kann. Typisch für
die Spondylitis hyperostotica ist die nur geringe Schmerzhaftigkeit, das
Auftreten nach dem 50. Lebensjahr, die röntgenologisch unauffälligen
Iliosakralgelenke, das Fehlen einer Mitbeteiligung der Extremitätengelenke
und die normale BKS. Die gleichen Unterscheidungsmerkmale gelten im wesentlichen
auch für die Differentialdiagnose gegenüber der Osteochondrose.
Bei arthritischen Frühstadien der Sp. a. ist differentialdiagnostisch
das gesamte Spektrum der entzündlich-rheumatischen Erkrankungen zu
berücksichtigen, wobei jedoch in erster Linie die reaktiven Arthritiden
und andere Spondarthritiden zu nennen sind wegen ihrer gemeinsamen Assoziation
mit dem HLA-B27. Die chronische Polyarthritis kann durch ihr symmetrisches
Befallsmuster der Finger- und Zehengelenke sowie positive Rheumafaktoren
und das Fehlen von HLA-B27 abgegrenzt werden.
Literatur
-
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Fehr K, Miehle W, Schattenkirchner M, Tillmann K (Hrsg) Rheumatologie in
Praxis und Klinik. Thieme, Stuttgart New York
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München-Gräfelfing