3.4 Spondarthritiden
Synonyma
Seronegative Spondarthritiden, seronegative Spondylarthropathien
Definition
Unter den Spondarthritiden werden eine Gruppe von Erkrankungen zusammengefaßt,
die sich gegenüber der chronischen Polyarthritis durch das Fehlen
von Rheumafaktoren und Rheumaknoten abgrenzen und mit der Spondylitis ankylosans
die Gemeinsamkeit eines Sakroiliitis - Spondylitis - Arthritis - Syndromes
aufweisen. Folgende gemeinsame Merkmale charakterisieren die Spondarthritiden:
-
Periphere Arthritis, meist mit asymmetrischem Befall der Gelenke und besonders
an den unteren Extremitäten.
-
Entzündliche Veränderungen der Insertionen von Sehnen und Bändern
(Enthesopathien).
-
Klinischer und röntgenologischer Befall der Iliosakralgelenke (Sakroiliitis)
und Wirbelsäule (Syndesmophyten, Spondylitis).
-
Gemeinsame extraartikuläre Manifestationen wie Augenentzündungen
(Iridocyclitis, Konjunktivitis, selten Episkleritis), Schleimhautentzündungen
(Stomatitis aphthosa, Urethritis), Hautveränderungen (psoriasiform,
Erythema nodosum, Pyoderma gangraenosum).
-
Familiäre Häufung und hohe Assoziation mit HLA-B27.
Zu den Spondarthritiden wurden ursprünglich neben der idiopathischen
Spondylitis ankylosans folgende Erkrankungen gezählt:
Arthritis psoriatica, Reiter-Syndrom, Behçet-Syndrom, Morbus
Crohn, Colitis ulcerosa und Morbus Whipple. Nach neueren Erkenntnissen
gehört das Behçet-Syndrom und der Morbus Whipple nicht mehr
zu den Spondarthritiden. Andererseits müssen heute die B27-assoziierten
reaktiven Arthritiden mit und ohne Reiter-Syndrom in die Gruppe der Spondarthritiden
aufgenommen werden. Auch die juvenile Oligoarthritis Typ II (siehe
3.3) zählt wegen des häufigen Überganges in eine Spondylitis
ankylosans zu den Spondarthritiden, ebenso wie die sogenannten undifferenzierten
Spondarthritiden, die als Abortiv- oder Frühformen definitiver Spondarthritiden
angesehen werden müssen. Fraglich ist noch die Zuordnung des SAPHO-Syndromes
(Synovialitis, Akne, Pustolosis, Hyperostose, Osteitis), da keine ausgeprägte
HLA-B27-Assoziation besteht und die Hautveränderungen in ihrer Klassifikation
als mögliche Psoriasis noch zur Diskussion stehen.
Kriterien
Von der European Spondylarthropathy Study Group (ESSG) wurden kürzlich
Klassifikationskriterien für die gesamte Gruppe der Spondarthritiden
erarbeitet, die als Hauptkriterien vom entzündlichen Wirbelsäulenschmerz
(siehe Tabelle 2, S. 3.5.2, 3.5 Spondylitis ankylosans) oder einer asymmetrischen
Arthritis, vorwiegend der unteren Extremitäten, ausgehen. Zusätzlich
muß ein weiteres Kriterium erfüllt sein. Das HLA-B27 wurde nicht
in den Kriterienkatalog aufgenommen, da es die diagnostische Wertigkeit
nicht steigert.
ESSG - Kriterien der Spondylarthropathien (4) |
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Wirbelsäulenschmerzen vom entzündlichen Typ oder |
Arthritis
-
asymmetrisch oder
-
vorwiegend an den unteren Extremitäten
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und eines der folgenden Kriterien
positive Familienanamnese für Spondylitis ankylosans, Psoriasis, reaktive
Arthritis, M. Crohn oder Colitis ulcerosa
Befund oder Anamnese einer Psoriasis
M. Crohn oder Colitis ulcerosa
Beidseits wechselnde Gesäßschmerzen
Fersenschmerzen
Sakroiliitis
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Demnach wäre auch u. a. bei alleiniger asymmetrischer peripherer Arthritis
und einer positiven Familienanamnese eines M. Crohn die diagnostische Einordnung
als Spondylarthritis möglich. Spondylitis und Arthritis sind zwar
häufig gemeinsam auftretende Teilaspekte der o. g. Entitäten,
im Einzelfall muß aber nur ein einziges der beiden Grundsymptome
nachweisbar sein.
Die Sensitivität der ESSG - Kriterien beträgt 86 % und die
Spezifität 87%. Auch ohne Röntgenbefund einer Sakroiliitis wird
allein mit den anamnestischen und klinischen Daten noch eine Sensitivität
von 77 % und eine unveränderte Spezifität von 89 % erreicht.
Die Variationsbreite der Sensitivität für die einzelnen Erkrankungen
der Spondarthritiden beträgt 78 bis 100 %. Auch für die undifferenzierten
Spondarthritiden erweisen sich die Kriterien mit einer Sensitivität
von 78 % als praktisch brauchbar. Selbstverständlich muß die
Zuordnung der Spondarthritis zu den einzelnen definierten Krankheitsbildern
anhand der Hautsymptome (Arthritis psoriatica) und Darmdiagnostik (Morbus
Crohn, Colitis ulcerosa, differentialdiagnostisch Morbus Whipple) getroffen
werden. Für die weitere Differenzierung von reaktiven Arthritiden
wird auf die diesbezüglichen Kriterien verwiesen (s. 3.7,
Reaktive Arthritis).
Die Arthritis (Häufigkeit ca. 10 bis 20 %) bei Colitis ulcerosa
und Morbus Crohn tritt meist gleichzeitig oder nach der Darmerkrankung
auf und geht mit der Entzündungsaktivität der Darmerkrankung
einher. Im Gegensatz dazu geht die Sakroiliitis (Häufigkeit ca. 15
%) und Spondylitis (Häufigkeit 3 bis 6 %) oft der Darmerkrankung voraus
und zeigt in der Regel keine Parallelität zur Entzündungsaktivität
des Darmes. Die mit 60 bis 90 % sehr häufigen Arthralgien und Arthritiden
beim Morbus Whipple gehen meist über viele Jahre den gastrointestinalen
Symptomen voraus. Das gilt auch für die selteneren (5 bis 7 %) Wirbelsäulenmanifestationen
in Form einer Sakroiliitis und Spondylitis.
Zusätzliche diagnostisch wichtige Krankheitssymptome
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Gastrointestinale Symptome. Das Spektrum bei Spondarthritiden reicht von
nur diskreten, asymptomatischen makroskopischen und mikroskopischen Veränderungen
der Kolonschleimhaut und des terminalen Ileums bei undifferenzierten Spondarthritiden
bis hin zu den typischen Darmsymptomen bei Colitis ulcerosa (blutige, schleimige
Durchfälle, häufig mit Tenesmen), Morbus Crohn (schleimig-eitrige,
nur selten blutige Durchfälle, selten Tenesmen, anale Abszesse und
Analfisteln, Pseudoappendizitis) und Morbus Whipple (voluminöse Fettstühle,
Malabsorptionssyndrom).
-
Urogenitale Symptome. Eine Urethritis, Prostatitis, Cervicitis haben die
Spondarthritiden mit den sexuell aquirierten reaktiven Arthritiden gemeinsam
(Kapitel 3.7).
-
Haut- und Schleimhautveränderungen. Neben den bereits genannten Symptomen
der Psoriasis, der Pustolosis palmaris et plantaris, des Erythema nodosum
und des Pyoderma gangraenosum können sehr selten auch vaskulitische
Veränderungen gefunden werden.
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Sonstige viszerale Beteiligungen: Selten sind kardiale Manifestationen
(Aorteninsuffizienz, Myokarditis, Perikarditis, AV-Überleitungsstörungen),
unspezifische Begleithepatitiden, Myositis und Amyloidose.
Die Häufigkeit der HLA-B27-Assoziation ist mit ca. 40 bis 85 % niedriger
als bei der idiopathischen Spondylitis ankylosans. Bei den peripher-artikulären
Formen der Spondarthritiden findet sich das HLA-B27 seltener, bei Nachweis
einer röntgenologischen Sakroiliitis und anderen axialen Symptomen
häufiger.
Differentialdiagnose
In Frühstadien ist die Differenzierung der Spondarthritiden in die
einzelnen Kranheitsbilder oft schwierig. Vor allem die frühzeitige
Abgrenzung einer idiopathischen Spondylitis ankylosans und Arthritis psoriatica
gelingt vielfach nicht. Besonders wichtig ist die Differentialdiagnose
zur chronischen Polyarthritis, wobei den Rheumafaktoren eine wichtige Rolle
zukommt. Rheumafaktor-negative Frühformen einer chronischen Polyarthritis
sollten nur dann als solche klassifiziert werden, wenn sowohl die ESSG
- Kriterien als auch das HLA-B27 negativ ausfallen sowie keine Hinweise
auf eine reaktive Arthritis bestehen.
Bezüglich weiterer differentialdiagnostischer Überlegungen
wird auf die entsprechenden Abschnitte der Diagnosekriterien der Spondylitis
ankylosans (Kapitel 3.5) und der Psoriasis-Arthritis
(Kapitel 3.6) hingewiesen.
Literatur
-
Moll JM, Haseler J, Macral 1-F, Wright V (1974) Association between ankylosing
spondylitis, psoriatic arthritis, Reiter's disease, the intestinal arthropathies
and Behcet-syndrome. Medicine 53: 343 - 357
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Fellmann N (1989) Spondylitis ankylosans und verwandte Spondylitiden. In
Fehr K, Miehle W, Schattenkirchner M, Tillmann K (Hrsg) Rheumatologie in
Praxis und Klinik.Thieme, Stuttgart New York
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Zeidler H, Man W, Kahn MA (1992) Undifferentiated spondylarthropathies.
Rheum Dis Clin North Am 18: 187 - 198
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Dougados M, Van der Linden S, Julien R, Huitfeldt B, Amor B, Calin A, Cats
A, Dijkmans 1, Olivieri 1, Pasero G, Veys E, Zeidler H and the European
Spondylarthropathy Study Group (1991). The European Spondylarthropathy
Study Group preliminary criteria for the classification of spondylarthropathy.
Arthr Rheum 34: 1218 - 1230
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Khan MA (1996) Editorial review. Spondyloarthropathies - Spondylarthropathies.
Curr Opin Rheumatol 8: 267-268