1.3 Allgemeine Röntgendiagnostik

Die Röntgenuntersuchung liefert bei den rheumatischen Erkrankungen des Gleit- und Stützgewebes die bildgebenden Basisinformationen, wenn folgende Prinzipien beachtet werden: Darüber hinaus gelten zwei methodische Postulate (A und B), die zur optimalen Bildgebung mit Röntgenstrahlen - Röntgendiagnostik - beachtet werden müssen.
 
Postulat A. Die erkrankte Knochenverbindung wird in zwei möglichst senkrecht zu einander stehenden Ebenen röntgenuntersucht.

Ausnahmen und Besonderheiten

Hand
Auch für die Hand gilt grundsätzlich das Postulat, sie in 2-Ebenen röntgenuntersuchen. Oft werden Erosionen erst auf der Röntgenaufnahme in der 2. Ebene sichtbar. Bei arthritischen Erkrankungen empfiehlt sich die Einstellung zur 2. Ebene als 45°-Halbsupination, bei Traumen die sog. Zitherspieler-Haltung. Bei Ausschließlicher Beurteilung der Handwurzel wird als 2. Ebene die seitliche Aufnahme, also die Einstellung senkrecht zur dorsovolaren Aufnahme, gewählt. Bei (vermuteter) Karpalinstabilität gehören Streßröntgenaufnahmen in aktiver Ulnar- und Radialduktion sowie bei Faustschluß (Belichtung während der Muskelanspannung) auch bei rheumatischen Erkrankungen zum Informationsprogramm.
Akromioklavikulargelenk
Die anterior-posteriore Röntgenaufnahme bei Außenrotation, 90°-Abduktion im Schultergelenk und 90°-Beugung des Ellenbogengelenkes bildet erosive und sonstige arthritische Phänomene im Akromioklavikulargelenk ab. Im Einzelfall geben Streß-Röntgenaufnahmen unter Gewichtbelastung (beiderseitiges Tragen von je 3 bis 4 kg Gewichten) vergleichende Auskunft über die akromioklavikuläre Kapsel-Band-Stabilität/Instabilität, die auch durch entzündliche Zerstörungen ausgelöst werden kann.
Sternokostoklavikularregion
Die adäquate Röntgenaufnahmetechnik und -methodik ist die eingeblendete Zielaufnahme bzw. sind mehrere Zielaufnahmen oder die konventionelle Tomografie (in Bauchlage besser als in Rückenlage). Bei sternoklavikulärer Fehlstellung und beim Akquirierten Hyperostose-Syndrom (2, 3) (Synonyme: pustulöse Akroosteitis, Spondarthritis hyperostotica pustulo-psoriatica, SAPHO-Syndrom)  werden durch die Computertomographie ergänzt.

Fuß

Mit der dorsoplantaren Einstellung und der dorsoplantaren Schrägaufnahme wird die Röntgendiagnose und -differentialdiagnose entzündlicher Erkrankungen gestellt. Diese Feststellung bezieht sich allerdings nur auf den Vorfuß, denn zur röntgenologischen Darstellung des gesamten podalen Gleit- und Stützgewebes sind weitere Aufnahmen nötig: an Stelle der Schrägaufnahme des Vorfußes eine Schrägaufnahme des gesamten Fußes, eine seitliche tibiofibulare Rückfußaufnahme, die auch das Talokruralgelenk mit abbildet, sowie die anteriorposteriore Röntgenaufnahme des Talokruralgelenkes bei 10 - 15° Innenrotation des Fußes. Zur Aufdeckung relevanter Fußdeformitäten können Aufnahmen unter Belastung sinnvoll sein.
Tibiofibulargelenk
Der Einblick in dieses Gelenk auf der seitlichen Röntgenaufnahme des Kniegelenkes gelingt ohne Informationsverlust über die Kniekonturen und -strukturen durch Unterpolsterung und dadurch bedingter Anhebung der Ferse. Bei gezielter Fragestellung nach der Makromorphologie des Tibiofibulargelenkes muß die Ferse um etwa 45° angehoben werden.
Hüftgelenk
Die Standardröntgenaufnahme bei (Verdacht auf) Koxarthritis erfolgt in anteriorposteriorer Einstellung. Bei atraumatischen Erkrankungen sollte - falls überhaupt notwendig - als 2. Ebene die Röntgenaufnahme in Froschposition (nach Lauenstein) bevorzugt werden. Die konventionelle Tomografie wird zusätzlich bei diagnostisch unklaren umschriebenen Struktur- und Konturveränderungen der Knochensockel des Hüftgelenkes eingesetzt.
Sakroiliakalgelenk
Die diagnostisch weiterführende Ergänzung zur anterior-posterioren Röntgenaufnahme in Rückenlage (Hüft- und Kniegelenk soweit gebeugt, daß die Fußsohlen dem Rasteraufnahmetisch aufliegen, dabei um 5° kranialwärts gerichteter sogenannter Zentralstrahl - Dihlmann 1978) ist die konventionelle Tomografie (1 cm Schichtebenenabstand, evtl. 0,5 cm Zwischenschichten). Die von verschiedenen Autoren angegebenen sakroiliakalen Spezialeinstellungen einschließlich der Schrägaufnahme sind bei (Verdacht auf) rheumatische(n) Erkrankungen obsolet. Die sakroiliakale Computertomografie ist die unökonomischere Alternative der konventionellen Tomografie oder wird im Frühstadium der Sakroiliitis vom Typ "buntes Bild" (Spondylitis ankylosans und andere seronegative Spondarthritiden) mit -20°-Gantrykippung (kopfwärts) als Tomografie in der 2. Ebene komplementär eingesetzt, wenn Sakroiliakaldysplasien die Deutung der Konventionellen Tomogramme erschweren.Bei infektiösen Sakroiliitiden liefert die Computertomografie mehr Informationen (Erguß, Weichteilabszeß) als die konventionelle Tomografie.
Schambeinfuge
Zum bildgebenden Informationsprogramm über die Symphysis pubica gehören bei rheumatischen Erkrankungen die anteriorposteriore Übersichtsaufnahme und evtl. die konventionelle Tomografie. Weichteilschäden werden dadurch nicht direkt abgebildet. Zielaufnahmen der Symphyse bei Standbeinwechsel können jedoch eine (auch entzündlich bedingte) Symphysenlockerung nachweisen.
Temporomandibulargelenk
Bei den rheumatischen Erkrankungen sind röntgenologisch nur durch die seitliche konventionelle Tomografie (gewöhnlich in Zonografietechnik) verläßliche Informationen zu gewinnen. In bequemer schräger Bauchlage wird der Kopf des Patienten so gedreht, daß die zu untersuchende Seite filmnahe liegt und dabei zusätzlich das Kinn leicht zur Aufnahmefläche gedreht. Diese Einstellung gewährleistet, daß Caput und Collum mandibulae sowie der aufsteigende Unterkieferast (Fibroostitis des Processus coronoideus?) in einer Ebene liegen.
Wirbelsäule
Die Wirbelsäulenabschnitte werden bei rheumatischen Erkrankungen einzeln in 2 Ebenen (anterior-posterior, seitlich) im Liegen oder Stehen (Sitzen) röntgenuntersucht. Lendenwirbelsäule und Kreuzbein sind eine Abbildungseinheit. Daher wird die anterior-posteriore Röntgenaufnahme nur soweit eingeblendet, daß die Sakroiliakalgelenke noch beurteilt werden können. Dies erspart eine gezielte Röntgenuntersuchung der Sakroiliakalgelenke - nicht aber die evtl. notwendige Tomografie. Auch für die Darstellung der Sakroiliakalgelenke auf der Lendenwirbelsäulenaufnahme gilt, daß bei klinisch begründetem Verdacht auf Sakroiliitis im Rahmen einer seronegativen Spondarthritis auch bei völlig normalem Röntgenbefund erst die konventionelle Schichtuntersuchung (oder Computertomografie) das "bunte Sakroiliakalbild" (s. oben) wiedergeben kann. Schrägaufnahmen der Lendenwirbelsäule zur Diagnose einer Spondylitis ankylosans sind obsolet; denn die anfangs sehr zarten Kapselverknöcherungen der Wirbelbogengelenke bei der ankylosierenden Spondylitis werden nicht nur leicht übersehen, sondern treten auch als Phänomene der Spondylarthrose auf. Röntgenaufnahmen des thorako-lumbalen Überganges sind bei großen Menschen erforderlich und fördern grundsätzlich die Suche und Entdeckung von Syndesmophyten; im thorakolumbalen Übergang sind nämlich bei der Mehrzahl der Patienten mit Spondylitis ankylosans die ersten Syndesmophyten zu erwarten.

Prinzipiell ist die ankylosierende Spondylitis eine versteifende Erkrankung. Die Rheumatoide Arthritis begünstigt dagegen die bewegungssegmentale Instabilität. Dadurch kann das Rückenmark bedroht werden. Der häufige Befall des zervikalen Wirbelsäulenabschnitts einschließlich des okzipito-zervikalen Überganges erfordert bei Halswirbelsäulenbeschwerden rheumatoider Arthritiker entweder zusätzliche seitliche zervikale Funktionsröntgenaufnahmen in Ante- und Retroflexion oder statt der primären Röntgenuntersuchung der Halswirbelsäule in 2 Ebenen werden sogleich 3 Aufnahmen angefertigt (Halswirbelsäule anterior-posterior, seitlich in Anteflexion, seitlich in Retroflexion). Die Funktionsaufnahmen enthüllen manchmal die Instabilität überhaupt erst oder geben ihr wahres Ausmaß wieder. Entzündliche Lockerungen im okzipitozervikalen Übergang - am häufigsten im Atlantodentalbereich: ventrale Atlasdislokation - führen nicht nur zu einer vergrößerten vorderen Atlantodentaldistanz (bei Erwachsenen über 3 mm), sondern in Abhängigkeit vom Ausmaß der Atlasverschiebung auch zu einer vertikalen Densdislokation. Erstere bedroht das Rückenmark, letztere die Medulla oblongata. Anstelle der verschiedenen okzipitozervikalen Meßlinien sollte bei rheumatischen Erkrankungen die seitliche konventionelle Tomografie des okzipitozervikalen Überganges in Anteflexion durchgeführt werden. Sie hat 3 Informationsvorteile:

Der Nachweis einer retrodentalen Alarmerosion stellt die imperative Indikation zur Magnetresonanztomografie, die das wuchernde entzündlich-rheumatische Granulationsgewebe direkt abbildet.
 
Postulat B. Paarig angelegte Gelenke sollen paarig röntgenuntersucht werden.
 
Bei den Sakroiliakalgelenken ist diese Forderung eine Selbstverständlichkeit.
Am Hüftgelenk sollte sie akzeptiert werden, weil die anteriorposteriore Röntgenaufnahme fast immer zur Diagnose oder zum Ausschluß einer (rheumatischeu) Koxarthritis führt. Die Beckenübersichtsaufnahme ist bei rheumatischeu Erkrankungen die bessere, da informationsreichere Alternative zur Röntgenuntersuchung des (eines) Hüftgelenkes in 2 Ebenen. Sie ermöglicht nicht nur den Vergleich mit dem kontralateralen (gesunden) Hüftgelenk, sondern bildet gleichzeitig auch Prädilektionsstellen bestimmter rheumatischer Krankheiten mit ab (beide Sakroiliakalgelenke, Schambeinfuge, Sehneninsertionen vor allem am Sitzbein - Fibroostitis?). Das Postulat B läßt sich prinzipiell begründen: Die Arthritis, welcher Ätiologie auch immer, gibt sich im Röntgenbild sukzedan, wenn auch oft überlappend, an den Weichteilzeichen (im Arthritisfrühstadium durch den Erguß), durch die arthritischen Kollateralphänomene (Knochendefizit in den Gelenksockeln) und an den arthritischen Direktzeichen, z. B. konzentrische reaktionslose Verschmälerung des röntgenologischen Gelenkspaltes und Erosionen, zu erkennen. Diskrete artikuläre und periartikuläre Weichteilschwellungen und -verdichtungen sowie gelenknahe Entkalkungen und die Gelenkspaltverschmälerung lassen sich früher und sicherer durch den Vergleich mit der gesunden Seite feststellen - vorausgesetzt, die Patientenlagerung, die Einstelltechnik, die Belichtungsdaten usw. sind identisch. Diese Prämissen sind am besten gewahrt, wenn beispielsweise beide Hände, Vorfüße usw. auf einem Röntgenbild simultan belichtet werden. Vor allem ökonomische, aber auch strahlenhygienische Gründe ("Röntgenstrahlen so viel wie nötig, so wenig wie möglich") stehen der generellen Realisierung des Postulates B entgegen und werden daher zur ethischen Entscheidung des Arztes und Patienten.

Beurteilung von Verlaufsserien

Qualitätssicherung heißt nicht nur Selbstkontrolle, sondern ist auch dem Vergleich der eigenen Bildträger mit denjenigen anderer Autoren (bzw. diagnostizierender, behandelnder Ärzte) verpflichtet. Namentlich bei chronischen Gelenkerkrankungen werden im Laufe der Jahre oft zahlreiche Röntgenaufnahmen angefertigt, die als ein wichtiges Kriterium des Erfolges/Mißerfolges der Therapie den lokalen röntgenmorphologischen Befund widerspiegeln. Um bei der Auswertung solcher bildgebender Verlaufsserien nicht allzu subjektiver Beurteilung zu erliegen, sind verschiedene Scores, z. B. der sog. Larsen-Score (4) vorgeschlagen worden. Vor allem der Hand- und Vorfuß-Score haben sich in der Praxis bewährt. Diskutiert wird vor allem noch darüber, in welchen Zeitabständen beispielsweise die zu vergleichenden Röntgenaufnahmen angefertigt werden sollen. Als Regel kann gelten, daß in den ersten zwei bis drei Jahren der Rheumatoiden Arthritis halbjährliche Kontrolluntersuchungen durchgeführt und mit dem Score beurteilt werden sollen. In späteren Jahren genügen dagegen ein- bis zweijährliche Kontrolluntersuchungen.

Literatur

  1. Dihlmann W (1978) Röntgendiagnostik der Sakroiliakalgelenke und ihrer nahen Umgebung. 2. Aufl. Thieme, Stuttgart
  2. Dihlmann W, Dihlmann SW (1991) Acquired hyperostosis syndrome: spectrum of manifestations at the sternocostoclavicular region. Radiologic evaluation of 34 cases. Clin Rheum 10: 250 - 263
  3. Dihlmann W (1993) Akquiriertes Hyperostose-Syndrom (sog. pustulöse Arthroosteitis). Literaturübersicht einschließlich 73 eigener Beobachtungen. Wien klin Wschr 105: 127 - 138
  4. Larsen A, Dale K, Eek M (1977) Radiographic evaluation of rheumatoid arthritis and related conditions by standard reference films. Acta Radiol Diagn 18: 481 - 491