3.33 Osteoporose

Definition

Die Osteoporose ist eine Systemerkrankung des Skeletts, charakterisiert durch eine verminderte Knochenmasse und Verschlechterung der Knochengewebsarchitektur mit daraus resultierender erhöhter Frakturneigung.

Diagnostische Hauptkriterien

Entsprechend der Definition ist das wichtigste Kriterium für die Diagnose der Osteoporose der Nachweis der mechanischen Insuffizienz des Knochengewebes. Hierfür gibt es zwei Möglichkeiten: Beide diagnostische Kriterien sind nur dann für die Osteoporosediagnose verwertbar, wenn differentialdiagnostisch andere Frakturursachen (z. B. Trauma, Malignom) oder andere Ursachen der Osteopenie (z. B. Osteomalazie, Hyperparathyreoidismus) ausgeschlossen werden (siehe Differentialdiagnose).

Frakturnachweis

Wichtigstes Kriterium der manifesten Osteoporose ist die Fraktur, insbesondere die Wirbelfraktur. Typischerweise kommt es im Bereich der Brustwirbelsäule zu keilförmigen Wirbelkörperverformungen, im Bereich der Lendenwirbelsäule eher zu bikonkaven Eindellungen oder Einbrüchen, den sog. Fischwirbeln. Der Wirbelbruch ist entweder Folge eines einzeitigen heftigen Frakturereignisses oder Resultat mehrzeitiger unterschwelliger mechanischer Einwirkungen. Letzteres wird als Sinterung oder Kriechverformung bezeichnet. Ab einer im Röntgenbild ausmeßbaren Höhenminderung der anterioren, mittleren oder posterioren Wirbelkörperhöhe von 20 % oder weniger im Vergleich zu noch intakten Höhen des gleichen Wirbels oder eines intakten Nachbarwirbels wird von Wirbelfraktur gesprochen. Durch Höhenausmessungen von BWK 4 bis LWK 5 kann ein Wirbeldeformitätsscore angegeben werden, der ein Ausmaß des Schweregrades manifester Osteoporosen darstellt.
Weitere typische Osteoporosefrakturen sind die distale Radius- und proximale Femurfraktur. Auch alle anderen Lokalisationen extravertebraler Frakturen können mit der Osteoporose assoziiert sein. Die Anteile von Trauma und vorbestehender Osteopenie am Frakturgeschehen sind bei extravertebralen Frakturen anamnestisch oft schwer zu trennen.

Nachweis der verminderten Knochenmasse bzw. -qualität

Verschiedene densitometrische Meßtechniken sind verfügbar. Wichtigste international akzeptierte Meßorte sind LWS, proximaler Femur und distaler Radius. Jeder erniedrigte Meßwert korreliert mit einem statistisch erhöhten Frakturrisiko insgesamt und speziell mit dem Frakturrisiko am jeweiligen Meßort. Die Meßgenauigkeit liegt je nach Meßprinzip und -gerät heute meistens zwischen 1- 3 %. Meßwiederholungen im Abstand von weniger als 12 Monaten sind daher nur in Ausnahmefällen sinnvoll. Das Meßergebnis wird bei der Photonenabsorption (DXA, SPA) in g/cm2 angegeben, bei der quantitativen Computertomografie in g/cm3. Anstelle von Prozentabweichungen zum mittleren Referenzwert werden zunehmend die Standardabweichungen von der mittleren Altersnorm (Z-Score) oder vom Durchschnitt junger Erwachsener (T-Score) zur besseren Vergleichbarkeit benutzt. T-Score-Werte von -2,5 und darunter sind als eindeutig pathologisch und somit als Kriterium der Osteoporose anzusehen. Eine Verschlechterung der Knochengewebsarchitektur, d.h. insbesondere zunehmende Perforationen und Vernetzungsverlust der Spongiosa kann z.Z. nur histologisch nachgewiesen werden. Zukünftig werden hier hochauflösende CT-Scanner auf nichtinvasiver Basis Informationen liefern. Weitere Verbesserungen für die Meßbarkeit der Knochengewebsqualität werden von Ultraschallgeräten erwartet, z.B. am bereits vielerorts erprobten Meßort Calcaneus.
 

Indikationen zur Knochendichtemessung

Alle zur Zeit verfügbaren Meßgeräte bestimmen den Knochenmineralgehalt flächenbezogen oder die Knochenmasse (Quantität), machen aber keine Aussage über die Knochenqualität. Die erzielten Meßwerte stellen einen Baustein für die Osteoporosediagnostik dar, ein niedriger Meßwert ist aber nicht gleichzusetzen mit der Diagnose "Osteoporose"!
Es besteht kein Zweifel, daß Knochendichtemessungen derzeit oft unkritisch und zu häufig verordnet und durchgeführt werden. Zur Beurteilung des lebenslangen Frakturrisikos sollten Densitometrien durchgeführt werden bei

Diese Indikationen bedürfen sicher der kritischen Überprüfung, sie sollten als Hinweis auf einen verantwortungsvollen Umgang mit der apparativen Diagnostik verstanden werden.

Weitere diagnostische Kriterien

Initialsymptom und damit Eingangskriterium der Diagnostik der Osteoporose ist meist der Schmerz, der entweder akut bei frischen Wirbelkörpereinbrüchen auftritt oder chronisch nach einer oder mehreren Frakturen durch Änderung der Wirbelsäulenstatik verläuft.

Weitere typische, aber nicht beweisende Kriterien für die manifeste Osteoporose sind:

Für die Diagnose der Osteoporose ohne klinische Manifestation in Form von Frakturen gibt es neben dem Osteodensitometriebefund keine klinisch relevanten Diagnoseparameter. Dumpfe Rückenbeschwerden kommen gelegentlich auch bei fehlenden Wirbelkörperfrakturen vor, sind aber nur selten pathogenetisch eindeutig der Osteoporose zuzuordnen (siehe 3.31, Rückenschmerzsyndrome). Die Kalksalzminderung im konventionellen Röntgenbild bei noch nicht höhengeminderten Wirbelkörpern ist bekanntermaßen ein sehr vages Kriterium. Der Wert der histomorphometrischen Auswertung der Knochenbiopsie für die Frühdiagnose ist ebenfalls limitiert. Biochemische Marker des Knochenumbaues können einen erhöhten Knochenstoffwechsel und damit einen Substanzverlust anzeigen. Damit korreliert ein in der Zukunft erhöhtes Frakturrisiko. Wichtige Marker der Knochenformation sind die knochenspezifische alkalische Phosphatase und das Osteocalcin, des Knochenabbaues die tartratresistente saure Phosphatase und das Desoxypyrodinolin.

Osteoporoserisikofaktoren

Verschiedene Faktoren des Lebensstils (u. a. Ernährung, Bewegung, Genußmittel), aber auch einige Medikamente und verschiedene Krankheiten gelten als Risikofaktoren der Osteoporose (Tabelle 1).

Tabelle 1. Gesamtübersicht über die wichtigsten Risikofaktoren, die eine Osteoporose verursachen oder zur Osteoporose beitragen können
 
Risikofaktoren der Osteoporose   
1. Bewegung: 
Geringe körperliche Aktivität, langfristige  Bettruhe, Paraplegie, Hemiplegie, Raumfahrt 

2. Ernährung: 
Lebenslang geringe Calciumzufuhr, phosphat-, protein- und faserreiche Kost 

3. Genußmittel: 
Chronisch hoher Alkoholkonsum, Zigarettenrauchen, Koffein 

4. Genetik: 
Weiße oder asiatische Rasse, familiäre Osteoporosehäufung, grazile Skelettanlage (Vitamin-D Rezeptor-Gen?) 

5. Endokrine Erkrankungen: 
Hypogonadismus, Cushing-Syndrom, Ehlers - Danlos - Syndrom, Hyperthyreose, primärer Hyperparathyreoidismus, Hyperprolaktinämie, Akromegalie, idiopathische Hypercalcurie, Diabetes mellitus

6. Maligne Erkrankungen: 
Plasmozytom, myelo- und Iymphoproliferative Erkrankungen, diffuse skelettale Metastasierung 

7. Medikamente: 
Kortikoide, Heparin, Thyroxin-Uberdosierung, Laxanzien, Antikonvulsiva, Lithium, Gonadotropin-Releasing-Hormon-Analoga, Glutethimid 

8. Gastroenterologische Erkrankungen: 
Magenresektionen, Morbus Crohn, Colitis  ulcerosa, Pankreasinsuffizienz, Leberzirrhosen 

9. Kollagenstoffwechselkrankheiten: 
Osteogenesis imperfecta, Marfan-Syndrom 

10. Sonstige Erkrankungen: 
Niereninsuffizienz, Asthma bronchiale, Rheumatoide Arthritis und andere entzündlich-immunologische Systemerkrankungen 

Sofern die Risikofaktoren (insbesondere verschiedene Grundkrankheiten und Medikamente) eindeutig allein oder auch in Kombination zur Osteoporose geführt haben, wird von mono- bzw. polyätiologischer sekundärer Osteoporose gesprochen.
 

Differentialdiagnose

Bei inadäquatem Trauma eingetretene Wirbel- und extravertebrale Frakturen können neben der Osteoporose auch andere Ursachen haben. Demzufolge müssen bei jedem Osteoporoseverdacht kalzipenische Osteopathien ausgeschlossen werden. Einen gewissen Wert hat hier die differentialdiagnostisch prinzipiell sonst nicht relevante Osteodensitometrie. Normale Knochendichtewerte an LWS und/oder peripheren Meßorten bei Frakturen sprechen für lokalisiert - osteolytische Prozesse oder andere nicht generalisierte Osteopathien.

Daneben muß aber auch die Osteoporose ohne klinische Manifestation mit Frakturen differentialdiagnostisch abgeklärt werden. Dafür sind wichtig:

Praktisch gilt es zunächst, maligne Skelettdestruktionen oder in einem zweiten Schritt andere metabolisch-endokrine Osteopathien wie Osteomalazie und Hyperparathyreoidismus bzw. deren Mischformen (intestinale und renale Osteopathie) auszuschließen. Je nach vorliegendem Einzelfall werden zusätzliche diagnostische Methoden, wie z.B. Skelettszintigrafie, Computertomografie, Knochenmarkzytologie, Knochenhistologie, Dünndarmbiopsie u.a.m. nötig sein. In einem zusätzlichen Schritt ist dann die Differenzierung zwischen einer primären und sekundären Osteoporose vorzunehmen.
 

Literatur

  1. Consensus Development Conference (1993) Diagnosis, prophylaxis, and treatment of osteoporosis. Amer J Med 94: 646 - 650
  2. Fischer M (1995) Persönliche Mitteilung
  3. Kanis JA, Melton LJ, Christiansen C, Johnston CC, Khaltaev N (1994) Perspective: The diagnosis of osteoporosis. J Bone Min Res 9: 1137 - 1141
  4. Kaufman RL (1991) Bone density measurement. Position Statement, American College of Rheumatology, Manuskript
  5. Ringe JD (1994) Osteoporose: Wertigkeit der Densitometrie. Dtsch Ärztebl 91: B 1862- 1863
  6. Ringe JD (Hrsg.) (1991) Osteoporose. Pathogenese, Diagnostik, Therapiemöglichkeiten. Walter de Gruyter, Berlin, New York
  7. Ringe JD (1993) Osteoporose. Diagnose, Prophylaxe und Therapie. Arzneimitteltherapie 11: 302 - 303
  8. Ringe JD (1995) Osteoporose. Thieme, Stuttgart, New York
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