Definition
Kryoglobulinämien oder Kryofibrinogenämien sind vaskulär bedingte Multiorganerkrankungen mit meist akral betonten kutanen oder systemischen vaskulitischen
Läsionen, Arthralgien, Myalgien, Glomerulonephritis, Polyneuropathie, kardialen und zerebralen Manifestationen, hervorgerufen durch kältelabile Bluteiweiße
(Kryoglobuline, Kryofibrinogen), die insbesondere bei Abkühlung zu Viskositätserhöhung, Eiweißpräzipitation oder Gelifikation, Komplementaktivierung,
Gerinnungsaktivierung und Endothelschädigung führen können.
Klassifikation
Klinische Klassifikationskriterien
1. Akral betonte leukozytoklastische und/oder nekrotisierende kutane Läsionen
2. Auslösung oder Verstärkung durch Kälte oder Wind
3. Histologischer Nachweis einer Vaskulopathie kleiner Gefäße (Arteriolen, Kapillaren, Venolen)
4. Nachweis eines deutlichen, kältelabilen Serum- oder Plasmaeiweißes (Kryoglobulin, Kryofibrinogen)
Alle 4 Kriterien sollten für die sichere Diagnosestellung erfüllt sein. |
Klassifikation der kältelabilen Bluteiweiße
- Kryoglobuline: Fallen im Serum bei unterschiedlichem Abkühlungsgrad (0 bis 30'C) aus und lösen sich bei 37'C wieder auf.
- Kryofibrinogene: Fallen im Plasma bei unterschiedlichen Abkühlungsgrad (0 - 30'C) aus und lösen sich bei 37'C wieder auf.
- Pyroglobuline: Fallen im Serum bei Abkühlung aus und lösen sich bei 37'C nicht wieder auf. Sie kommen nur nach massivem Plasmaersatz vor.
Klassifikation der Kryoglobuline
Basierend auf der Eiweißzusammensetzung des Kryglobulinpräzipitates in der Immunelektrophorese wurde folgende Einteilung der Kryoglobuline vorgeschlagen
(3).
- Typ 1. Monoklonale lmmunglobuline, meist 1gM, seltener 1gG oder IGA. Sie kommen vor bei M. Waldenström, Myelom, B-Zell-Non-Hodgkin
Lymphom, monoklonalen Gammopathien unbestimmter Wertigkeit.
- Typ 2. Es handelt sich um eine gemischte, essentielle Kryoglobulinämie mit monoklonalem IgM-Rheumafaktor und polyklonalem IgG. Seltener sind
monoklonale IgG- oder IgA-Rheumafaktoren im Präzipitat nachweisbar. Der Typ 2 kann eine schwere chronische Vaskulitis mit Purpura, Arthritis,
Nephritis (= PAN-Syndrom) und Polyneuropathien verursachen und wird nach der Chapel-Hill-Consensus Conference (4) zu den primären Vaskulitiden
gerechnet, soweit keine chronische HCV- oder HBV-Infektion zugrunde liegt.
- Typ 3. Es handelt sich um polyklonales IgG plus polyklonales IgM oder IgA oder undefinierbares Protein X. Dieser Typ kommt besonders parainfektiös
(u. a. HCV, HBV, HIV, Lues, Borreliose), bei Kollagenosen (SLE, Sjögren-Syndrom) und Rheumatoider Arthritis mit hohem Rheumafaktortiter vor.
Anmerkung: Nach eigener Erfahrung sind persistierende HCV-lnfektionen bei den Kryoglobulin-Typen 2 und 3 in 30 bis 50 % nachweisbar.
Krankheitsbilder mit Nachweis von Kryofibrinogenen (6)
- Essentielle Kryofibrinogenämie
- Karzinome u. a. der Lunge, des Magens, des Pankreas, der Gallenblase, des Kolon; Fibrosarkom
- Hämatopoetische und lymphatische Neoplasien: u. a. Myelom, chronische lymphatische Leukämie, Non-Hodgkin-Lymphom, M. Hodgkin
- Infektionen (s. o.)
- Medikamente: u. a. Ovulationshemmer, lsoniacid
- Schwangerschaft
- Fehltransfusion
- Arterielle Verschlußkrankheit, venöse Thrombosen
- Kollagenosen
- Leberzirrhose
- Metallische Fremdkörper
Diagnostik
Sie erfordert ein umfangreiches Laborprogramm.
- Nachweis von Kryoglobulinen oder Kryofibrinogen. Technisch geht man wie folgt vor. Abnahme von 10 ml Nativblut und 10 ml Zitratblut; Transport bei
37°C ins Labor; Gewinnung von Serum und Plasma bei 37°C; Inkubation von Serum- und Plasmaprobe im temperierten Wasserbad bei 37°C, 20°C und
O°C für 2 und 24 Stunden, ggf. für 48 und 72 Stunden. Bei Auftreten einer Trübung, eines Präzipitates oder einer Gelifikation Abzentrifugieren des
Präzipitates und Bestimmung des"Kryokrits"; Test auf Wärmereversibilität; Freiwaschen des Präzipitates durch wiederholtes Umfällen (Wiederauflösen bei
37°C und nochmaliges Ausfällen bei O'C mit anschließendem Waschen); evtl. Bestimmung der Temperaturamplitude bei 0 - 10 - 20 - 30°C; Bestimmung
der Eiweißkomponenten im Präzipitat mittels Immunfixation.
- Komplementdiagnostik. Die Bestimmung von CH50, C3d, C3, C4 ist erforderlich, da ein Teil der Kryoglobuline - besonders Typ 2 und 3 - das
Komplementsystem aktivieren.
- Akute-Phase-Proteine. Fibrinogen, CrP, Elektrophorese.
- Quantitative Bestimmung von IgG, IgA, IgM und IgE; Paraproteinnachweis.
- ANA, ANCA, Rheumafaktoren. Bei Typ 2-Kryoglobulinämien ist der Titer im Latex-Test typischerweise sehr hoch, im Waaler-Rose-Test eher niedrig bis
normal.
- Virustiter und Antigennachweis (HCV, HBV, HIV, EBV, CMV).
- Borrelien- und Lues-Serologie, im Einzelfall auch Nachweis von Antikörpern gegen Protozoen und Parasiten, z. B. Leishmanien.
Literatur
- Abel G, Zhang OX, Agnello V, (1993) Hepatitis C virus infection in type 11 mixed cryoglobulinemia. Arthr Rheum 36: 1341 - 1349
- Bartels M, Ellendorf C, Peter 1-IH, Schedel 1 (1980) Hämorrhagische Diathese bei Kryofibrinogenämie. In: Schimpf K (Hrsg) Fibrinogen, Fibrin und
Fibrinkleber. Schattauer, Stuttgart S 175 - 183
- Brouet JC (1974) Biological and clinical significance of cryöglobulins. Amer J Med 57: 775 - 788
- Jennette JC, Falk RJ, Andrassy K, Bacon PA, Churg J, Gross WL, , Hagen EC, Hoffman GS, Hunder GG, Kallenberg CGM, McCluskey RT, Sinico
RA, Rees AJ, van Es LA, Waldherr R, Wiik A (1994) Nomenclature of systemic vasculitides. Proposal of an International Consensus Conference. Arthr
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- Meltzer M, Franklin EC (1966) Cryoglobulinemia - a study of 29 patients. Amer J Med 40: 628 - 635
- Moroz LA, Rose B (1978) The cryopathies. In: Samter M (ed) lmmunological Diseases, Vol 1, 3rd Ed, Little Brown, Boston pp 570 - 591