1.1 Rheumatologische Anamnese

Allein durch die Anamnese können bereits wichtige diagnostische Vorentscheidungen getroffen werden:
  • Wo liegt der Beschwerdeursprung (artikulär - extraartikulär)?
  • Welche Bedeutung haben die Gelenkbeschwerden (Arthralgie - objektivierbarer Befund)?
  • Um welche Wahrscheinlichkeitsdiagnose handelt es sich nach dem Befalls- und Verlaufsbild bzw. den wichtigsten Begleitsymptomen?
  • Auf andere als die diagnostischen Ziele der Anamnese - u. a. psycho-soziale Faktoren und Funktionsbehinderungen im Alltag - kann in diesem Zusammenhang nicht eingegangen werden.

    Beschwerdeursprung

    Auf gezielte Fragen muß am Anfang der Anamnese geklärt werden, ob die Beschwerden Dieser vorläufige, anamnestische Befund ist dann später durch die Untersuchung zu überprüfen. In seltenen Ausnahmefällen sind angiologische, neurologische oder von viszeralen Affektionen ausstrahlende Schmerzen auszuschließen.

    Dignität von Gelenkbeschwerden

    Bei gesichertem Ausgangspunkt von den Gelenken selbst ist in einem zweiten Untersuchungsschritt zu klären, ob Auch diese Differenzierung zwischen Arthralgie und objektivierbarem Befund läßt sich mit recht großer Genauigkeit anamnestisch vornehmen, sie muß aber unbedingt durch den Untersuchungsbefund überprüft werden.
    Die Unterscheidung rein subjektiver Beschwerden von objektivierbaren Befunden an den Gelenken ist wegen ihrer unterschiedlichen Dignität von zentraler Bedeutung:
    Arthralgien sind Alltagssymptome und können vorübergehend bei harmlosen Erkältungen oder fieberhaften Infekten auftreten. In einem weiteren Teil der Fälle sind sie Folge einer in der Jugend abgelaufenen reaktiven Arthritis (periodische Gelenkbeschwerden bei Wetterwechsel); in 30 % der Fälle lassen sie sich ursächlich überhaupt nicht abklären.
    Objektivierbare Gelenkveränderungen haben dagegen immer einen ernsten Hintergrund. Sie verpflichten in jedem Fall zu weitergehenden diagnostischen Maßnahmen, bei ungenügender Klärung zur Vorstellung bei einem Rheumatologen/Orthopäden.
     
    Beachte. Diffuse, nicht auf die Gelenke beschränkte Schwellungen im Bereich der Handrücken und Finger sind oft spondylogen, seltener durch Bindegewebskrankheiten bedingt.
     

    Wahrscheinlichkeitsdiagnose

    Dazu dienen die folgenden Parameter des Befalls- und Verlaufsbildes sowie die in der Checkliste aufgeführten Begleitsymptome.
    Besonderheiten des Gelenkbefalls und Krankheitsverlaufes
  • Lokalisation/Befallsmuster: z. B. große Gelenke = eher reaktive Arthritis; kleine Gelenke = eher Rheumatoide Arthritis (RA, chronische Polyarthritis), Psoriasis-Arthritis. Untere Extremität = reaktive Arthritis, Gicht; obere Extremität = RA; Fingerendgelenke: Psoriasis-Arthritis, Heberden-Arthrose.
  • Akuter Beginn (Intervall von Stunden zwischen Beschwerdebeginn und ihrem Maximum): Kristallarthropathien (= Gicht und Chondrokalzinose), Palindromer Rheumatismus, infektiöse Arthritiden.
  • Monartikulärer Befall: Kristallarthropathien, Palindromer Rheumatismus, infektiöse Arthritiden, Arthrosen, Gelenktuberkulose; Ausschluß einer Spondylitis ankylosans (Sp.a.).
  • Oligoartikulärer Befall (2 bis 4 Gelenke betroffen): Reaktive Arthritis, 70 % der Psoriasis-Arthritis, Verlaufsformen der juvenilen chronischen Arthritis (jcA).
  • Zeitliche Entwicklung in Schüben mit Vollremission ("Anfälle", "Attacken"): Kristallarthropathien, Palindromer Rheumatismus.
  • Linear oder schubweise progredient: RA, Sp. a., Arthrosen, Kollagenosen.
  • Migratorischer Verlauf (von Gelenk zu Gelenk wandernd mit Abklingen am zuerst befallenen Gelenk): viele symptomatische Arthropathien, z. B. Sarkoidose, reaktive Arthritis, Arthritis bei Leukosen u. a. m.
  • Asymmetrischer Gelenkbefall: Reaktive Arthritis, Psoriasis-Arthritis.
  • Tagesrhythmus des Schmerzes: morgendliches Maximum, 2. Nachthälfte = entzündliche Gelenkerkrankung;

  • abendliches Maximum, Belastungsschmerz = nicht-entzündliche Gelenk- oder Wirbelsäulenerkrankung.
    Anamnestische Besonderheiten

    Bei jeder diagnostisch unklaren, objektivierbaren Gelenkveränderung ist ferner die folgende Checkliste abzufragen bzw. durch Untersuchung abzuklären (mögliche Diagnosen beigefügt): 

    Literatur

    1. Mathies H (Hrsg) (1984) Leitfaden für Diagnose und Therapie rheumatischer Erkrankungen. EULAR-Verlag, Basel
    2. Müller W, Zeidler H (1993) Die Klinisch-rheumatologische Untersuchung. Reihe "Medizin von heute". Tropon Werke, Köln-Mülheim